Nichtoffener Realisierungswettbewerb „Wohnen und Räume für die Bürger am Bahnhof“ in der Gemeinde Steinhöring
Rieger Lohmann Architekten zusammen mit Fischer Heumann Landschaftsarchitekten
Aufgabe:
Ein Bürgersaal für Steinhöring, Räume für das Heimatmuseum
28 Wohnungen mit WFL von 40-90qm und ein Freiraumkonzept für das ganze Gelände
Der Bestand:
Ein altes Molkereigebäude von 1915 mit Silo und Lagergebäuden
Die Eckdaten:
Bearbeitung 12-2021 bis 03- 2022
BGF gesamt 5000 m2
BGF Wohnen 3100 m2
BGF Öffentliche Nutzung 1900 m2
WFL gesamt 1760 m2
NFL Öffentliche Nutzung 800m2
Die Vorüberlegungen:
Wettbewerbsteilnahmen sind nicht „Standardprozedere“ in unserem Büro! Zum einen wollen wir jedoch diese Form der Akquise für größere und anspruchsvolle Projekte durchaus testen und nutzen, zum anderen sind diese Entwurfsaufgaben eine willkommene Abwechslung und Übung – fern des normalen Planungs-Alltags.
Hier hat uns auch die Tatsache besonders gereizt, dass ein großes Bestandsgebäude auf dem Wettbewerbsgelände Teil der Entwurfsaufgabe war, so dass wir uns nach erfolgreicher Auslosung für eine Teilnahme entschieden haben.
Herangehensweise:
Bürgersaal und Museumsräume
Öffentliche Räume und der verantwortungsbewusste Umgang mit der vorhandenen Bausubstanz – ortsbildprägend, identitätsstiftend und nachhaltig!
Das 1915 errichtete Gebäude der Milchgenossenschaft, im Jahr 1954 um ein Lagerhaus im Westen erweitert, darf als ein in mehreren Hinsichten wertvolles Bestandsgebäude für Steinhöring angesehen werden: Zum einen ist es ortsbildprägend und identitätsstiftend, zum anderen baukulturelle Geschichte des Industriestandorts Steinhöring im 20. Jahrhundert!
Ein Gebäude also, welches sich ideal eignet, um öffentliche Nutzungen wie Bürgersaal und Vereinsräume aufzunehmen. Für den Saal im Erdgeschoss und die Dauerausstellung im Obergeschoss eignet sich gerade das 1954 angefügte Lagerhaus ideal und wird daher instandgesetzt und revitalisiert.
Das Untergeschoss nimmt die gesamte Haus- und Versorgungstechnik sowohl des Bestandsgebäudes als auch der Neubauten auf – dies mit wenig Umbauaufwand. Selbst das Untergeschoss des 1960 erbauten Silo-Gebäudes wird erhalten und einer Nutzung zugeführt.
Darauf wird der Erweiterungsbau des Bürgersaals errichtet, welcher zugleich als Gemeinschaftsraum des neuen Wohnangers am Bahnhof dient und dem Bürgersaal flexibel zugeschaltet werden kann.
Nachhaltig zu planen und zu wirtschaften bedeutet den Bestand angemessen wertzuschätzen, wohlwollend-kritisch zu bewerten und weiterzuentwickeln. Dabei spricht neben den genannten kulturellen und gesellschaftlichen Vorteilen des Bestandserhalts die simple Tatsache eine zunehmend entscheidende Rolle: Ressourcen-Knappheit!
56% unseres Abfalls entfallen auf den Bausektor, nur 7% davon werden wiederverwertet!
In dem vorliegenden Bestandsgebäude stecken abzüglich der auszutauschenden Bauteile ca. 2.500 Tonnen(!) Baumaterial! Allein der Keller des Silo-Gebäudes bindet ca. 150m3 Beton, was einem CO2-Äquivalent von ca. 50 Tonnen CO2 entspricht. Der Erhalt dieser Funktionsbauteile wird daher angestrebt und auch hier konsequent umgesetzt.
Wohnen:
Private und halböffentliche Räume und Nutzungen und der verantwortungsbewusste Umgang mit den vorhandenen Ressourcen – Modular, effizient und nachhaltig!
In Zeiten, in denen Bauen und Wohnen für erschreckend viele Menschen zu unbezahlbarem Luxus wird, in denen Rohstoffknappheit und ein überlasteter Bausektor zunehmend die Balance zwischen Kosten und baulicher Qualität stören, ist es Zeit für neue Wege:
Modularer, vorgefertigter Holzbau in handwerklicher Perfektion und mit allen gestalterischen Freiheiten. Oder: Das spannende Nebeneinander von 100 Jahren bayerischer industrieller Baukultur!
„Es geht nicht darum Raum- oder Wohneinheiten möglichst effizient zu stapeln, es geht vielmehr darum, im räumlichen Zusammenhalt zu denken und fruchtbaren Raum für den mehrgeschossigen Wohnungsbau, zu schaffen. Das wesentliche Kennzeichen eines solchen vorgefertigten Elements ist seine offene Struktur. Und der Schlüssel, der viele Türen öffnen kann.“ (Newsletter BirdsEyesView 1)
Die drei Wohnriegel, welche sich um einen Anger gruppieren, reagieren nicht auf den halböffentlichen Gemeinschaftsraum, sie interagieren mit ihm: Über die konsequent offene Laubengang- Erschließung und die transparenten, den Häusern vorgelagerten Terrassen- und Balkonzonen, gelingt natürliche Interaktion.
Dies wird maßgeblich durch die vergleichsweise niedrigen zwei- und dreigeschossig konzipierten Baukörper erleichtert.
Am Übergang vom Wohnanger zum öffentlich genutzten Bürgerplatz nördlich des Bestandsgebäudes befindet sich auch der gemeinschaftlich zu nutzende Begegnungs-/Gemeinschaftsraum der Bewohner. Eine direkte, durch gesunde räumliche Nähe erleichterte Interaktion von Bewohnern und Besuchern ist somit gegeben – der Begegnungsraum als Innenraum-Äquivalent zum Wohnanger.
Die Wohngebäude, werden als modulare Holzbauten konzipiert. Die 11m langen und 3,45m breiten Module erfüllen alle notwendigen und in diesem Kontext vernünftig erscheinende Grundrissflexibilität und ermöglichen Wohnungen zwischen 43 und 97 Quadratmetern.
Im Vergleich zu herkömmlichen Bauweisen ähnliche Erstellungskosten werden kombiniert mit kürzester Bauzeit, höchster Energieeffizienz (PH-Standard möglich.) und kreislaufgerechten Materialkombinationen und Bauteilen. Die ca. 10m3 Brettsperrholz pro Modul binden 10 Tonnen CO2 und kommen ohne weitere statische Verstärkungen aus. In Kombination mit einem regenerativen Heizsystem – hier konzipiert eine Pellet- oder Hackschnitzelheizung für die gesamte Anlage im UG des Bestandes entsteht so in Kombination mit den flächendeckenden Photovoltaik-Dächern auf den Neubauten das, was wir uns in 100 Jahren wünschen vorzufinden: Echte und konsequent umgesetzte moderne Baukultur, welche nach ihrem Lebenszyklus beste Voraussetzungen mitbringt, weiterentwickelt, revitalisiert oder auch umwelt- und ressourcenschonend zurückgebaut und wiederverwertet zu werden.
Freiraumkonzept:
Der Freiraum der neuen städtebaulichen Ordnung ist in zwei Bereiche gegliedert, Bürgerplatz und Anger, die sich über die Ebrach miteinander verzahnen.
Das neue Bürgerzentrum sitzt auf einem großzügigen Vorplatz, der als Zugang und Bühne für das Bürgerhaus und gleichzeitig als Treffpunkt und Aufenthaltsfläche für die Bürger von Steinhöring dient. Lockere Baumstrukturen und Grüninseln gliedern die gepflasterte Fläche. Der Bürgersaal öffnet sich nach Süden auf eine multifunktional nutzbare, erhöhte Terrasse, diese erinnert an die ehemalige Laderampe.
Die neue Wohnbebauung reiht sich um einen gemeinsamen baumüberstandenen, grünen Anger. Dieser nimmt die Erschließung, den gemeinschaftlichen Aufenthalt und einen Kinderspielplatz auf. Den Erdgeschoss-Wohnungen sind kleine Gartenbereiche direkt zugeordnet.
Die übergeordnete Fußwege-Verbindung führt von der Bahnhofstraße entlang der Ebrach über den Vorplatz, durch das Quartier und weiter nach Nordwesten. Lange Natursteinmauern als Sitzgelegenheiten und die Abflachung und Umgestaltung des Ufers machen den Bach erlebbar. Der Übergang in den angrenzenden Landschaftsraum wird mit Streuobstwiesen, Einzelbäumen und naturnahen Bachufern gestaltet.
Die PkW-Stellplätze sind untergeordnet auf dem Vorplatz sowie in einer kompakten Tiefgarage nachgewiesen.
Die Eingriffe durch die Neugestaltung in die Abflusswirksamkeit der Bäche im Hochwasserfall werden durch Abtrag und Abflachungen an der Böschung kompensiert.
Modell (RLArchitekten):